Problemaufriss
Die diesjährige Wahlperiode für Betriebsratswahlen war geprägt von der pandemischen Lage und den damit verbundenen Unsicherheiten. Gleichzeitig mussten die am 18.06.2021 in Kraft getretenen Regelungen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes beachtet werden. Eine dieser neuen Regelungen war die Erweiterung des Personenkreises, denen unaufgefordert Briefwahlunterlagen zugesandt werden müssen. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 Wahlordnung (WO) musste der Wahlvorstand bisher lediglich den Wahlberechtigten, die im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Briefwahlunterlagen unaufgefordert zusenden. Nach dem neu eingeführten § 24 Abs. 2 Nr. 2 WO gilt diese Verpflichtung nunmehr auch bei Wahlberechtigten, die vom Erlass des Wahlausschreibens bis zum Zeitpunkt der Wahl aus anderen Gründen voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. In Zeiten von mobiler Arbeit, Home-Office oder Flex-Office ist es für den Wahlvorstand nicht einfach, allen Anforderungen gerecht zu werden. Eine Durchführung der Betriebsratswahl als ausschließliche Briefwahl bleibt jedoch weiterhin nicht möglich.
Der Fall
Der Wahlvorstand ordnete „aufgrund der unwägbaren Corona-Situation“ und der pandemischen Lage im Wahlausschreiben vom 10.7.2020 für alle Mitarbeiter die Stimmabgabe ausschließlich per Briefwahl an. Die Briefwahlstimmen konnten bis zum 21.8.2020, 11 Uhr in der Poststelle des Unternehmens abgegeben werden. Der Arbeitgeber hat die Betriebsratswahl aus diesem, jedoch auch aus anderen Gründen angefochten.
Die Entscheidung
Wenngleich das Landesarbeitsgericht die Unwirksamkeit der Wahl im Wesentlichen auf andere Gründe stützte (Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des Wahlvorstandes sowie die Nichteinhaltung der 6-Wochenfrist des § 3 I WO) fand es zu der Briefwahl relativ eindeutige Worte. Es spreche auch unter Berücksichtigung der pandemischen Lage im Sommer 2020 vieles dafür, dass eine ausschließliche Briefwahl zur Vermeidung einer Infektionsgefahr nicht angeordnet werden durfte. Zwar seien Ausnahmen hiervon möglich, bspw. wenn auch mit Blick auf die Infektionsgefahr kein geeigneter Raum für die Durchführung einer Urnenwahl zur Verfügung stehe oder bei einem Filialbetrieb ohne Hauptstelle eine Vielzahl von Urnenwahlen verhindert werden solle. Nach Ansicht des LAG spreche allerdings viel dafür, dass der Wahlvorstand auch während der Pandemie im Sommer 2020 nicht berechtigterweise von einem solchen Ausnahmefall ausgehen durfte, in welchem der Durchführung einer Präsenzwahl erhebliche Probleme entgegengestanden hätten.
Für die Praxis
Die Ausführungen in der Entscheidung stehen im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes und bestätigen noch einmal die Wichtigkeit des Grundsatzes der persönlichen Stimmabgabe – auch in einer pandemischen Lage. Auf der anderen Seite führt ein Verstoß gegen § 24 Abs. 2 WO in der Regel ebenfalls zur Anfechtbarkeit der Wahl. Dem Wahlvorstand bleibt damit nur die (mitunter sehr aufwändige) Prüfung für jeden Einzelfall. Dabei hat der Arbeitgeber nach dem ebenfalls neu eingeführten § 24 Abs.2 Satz 2 WO die hierzu erforderliche Information zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen sollte der Wahlvorstand unbedingt beim Arbeitgeber einholen.
Andreas Jakobs, Fachanwalt für Arbeitsrecht