Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat am 03.12.2014 entschieden, dass eine als „Werkvertrag“ bezeichnete Arbeitnehmerüberlassung im Einzelfall trotz Vorliegens einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis beim Verleiher zu einer Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führen kann. Dies sei dann der Fall, wenn sowohl dem Verleiher als auch dem Entleiher positiv bekannt ist, dass der Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert werden soll und der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Entleihers unterliegen soll. Dies gelte jedenfalls dann, wenn zugleich der Charakter der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Arbeitnehmer verschleiert wird. Die Berufung auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis stelle sich dann als ein treuwidriges widersprüchliches Verhalten dar. Dürfen sich Verleiher und Entleiher aber nicht auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers berufen, gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Entleiher als zustande gekommen gemäß §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG.
Sachverhalt:
Der Kläger hatte für den Zeitraum vom Mai 2011 bis Mai 2014 drei Vertragsarbeitgeber, welche alle im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis waren. Von der Beklagten wurde der Kläger im oben genannten Zeitraum als sogenannte „Fremdarbeitskraft“ eingesetzt. Im Mai 2014 wurde der Kläger von der Beklagten „abbestellt“, woraufhin der aktuelle Vertragsarbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigte. Der Kläger arbeitete im Rahmen der Auftragserfüllung ausschließlich mit Betriebsmitteln der Beklagten, die Aufgabenzuweisungen wurden vom Kläger direkt über das SAP-System der Beklagten abgerufen, dem Kläger wurden sämtliche Berechtigungen erteilt, um mit den Systemen der Beklagten zu kommunizieren. Zudem nahm der Kläger bei der Beklagten an diversen Schulungsmaßnahmen teil.
Der Kläger meint, die gesamte Abwicklung lasse nur darauf schließen, dass er bei der Beklagten betrieblich eingegliedert gewesen sei und den Weisungen der Beklagten unterstanden habe. Er klagte deshalb auf Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis seit Mai 2011 besteht.
Die Beklagte lehnte dieses ab.
Die Entscheidung:
Die Vorinstanz hat die Klage noch mit der Begründung abgewiesen, ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei weder durch Vertrag noch konkludent begründet worden. Der Vertragswille sei von Anfang an auf ein Dreiecksverhältnis angelegt gewesen. Die Frage, ob der Kläger tatsächlich im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung tätig geworden sei, ließ das Gericht deshalb dahinstehen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschieden, ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gelte seit Mai 2011 gemäß § 10 Abs. 1 AÜG als zustande gekommen. Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei entgegen der vertraglichen Bezeichnung im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung tätig gewesen. Dies ergebe sich aus der praktischen Durchführung des Vertrages. Der Kläger sei weisungsgebunden und bei der Beklagten in den Betrieb eingegliedert gewesen. Aus diesem „Scheinwerkvertragsverhältnis“ ergäben sich folgende Konsequenzen, welche auch die Vorinstanz im Wesentlichen zutreffend erkannt habe:
Zwischen den Parteien ist weder ausdrücklich noch konkludent ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Es wurden ausdrücklich nur Vertragsbeziehungen über das Dreieck begründet, eine bloße Eingliederung ohne Vertrag führt aber nicht zu einem Vertragsverhältnis. Auch über §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG wurde kein Arbeitsverhältnis begründet, da ein wirksames Überlassungsverhältnis nicht vorlag. Vorliegend fehlte es unter anderem an der nach § 12 Abs.1 Satz 1 AÜG erforderlichen Schriftform, so dass die Vertragsverhältnisse zwischen der Beklagten und ihren angeblichen Werkvertragspartnern nach § 125 Satz 1 BGB nichtig sind.
Das Gericht hat jedoch zutreffend festgestellt, dass sich das verschleiernde Verhalten der Vertragspartner der Überlassungsverträge gegenüber dem Kläger als treuwidrig darstellt, weshalb es beiden Vertragspartnern der Überlassungsverträge wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt sein muss, sich auf das Bestehen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis der Verleihunternehmen zu berufen. Wenn sich aber die Beklagte und die Vertragsarbeitgeber des Klägers trotz bestehender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnisse nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf diese berufen dürfen, erfolgte der konkrete Einsatz des Klägers bei der Beklagten ohne Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Hatte der Verleiher im konkreten Verhältnis zum Kläger aber kein Recht, sich auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu berufen, so stellt sich der Arbeitsvertrag zwischen dem Verleiher und dem Kläger gemäß § 9 Nr. 1 AÜG als unwirksam dar. Aus einem nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksamen Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer folgt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG die Fiktion der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zur Beklagten als Entleiherin.
Gegen diese Entscheidung wurde Revision eingelegt.
Fazit:
Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht als Revisionsinstanz diese Entscheidung aufrechterhalten wird. Mit Entscheidung vom Juni 2014 (BAG 03.06.2014 – 9 AZR 829/13) hatte das BAG noch entschieden, dass auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher begründet wird, wenn gegen das Verbot eines nicht nur vorübergehenden Einsatzes des Leiharbeitnehmers verstoßen wird, unabhängig davon ob eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis besteht oder nicht. Ob das BAG dies anders sieht, wenn wie im vorliegenden Fall eine bewusste Verschleierung bei positiver Kenntnis der Vertragspartner der Überlassungsverträge vorliegt, wird sich zeigen.
Guido Wurll
Fachanwalt für Arbeitsrecht, Rechtsanwalt